Nächtliche Entsorgung
Sie steht im Eingang zu den Mülltonnen und ein rotes Pünktchen leuchtet vor ihrem Kopf kurz auf. Auf die Entfernung stelle ich mir vor, es wäre ein Laserpointer und sie das Ziel einer Liquidation, aber als ich näher komme, sehe ich, dass sie in der Dunkelheit nur raucht. Ich bleibe vor ihr stehen und frage: „ Bist du die neue Mieterin aus dem 3. Stock?“.
Mit Hausschuhen und den vollgestopften, stinkenden Mülltüten in den Händen gebe ich ein jämmerliches Bild ab, aber die schützende Dunkelheit nimmt sich meiner an. Ich warte geduldig auf eine Antwort, die nicht kommt. Ein kaum wahrnehmbares Nicken meine ich zu entdecken, dann gehe ich zu den Tonnen und befreie meine Hände. Als der Lichtsensor im Durchgang die alte Glühbirne anschaltet, dreht sie sich ab, sodass ich ihr Gesicht nicht sehen kann. Jetzt sehe ich, auch sie hat eine Mülltüte bei sich, die neben ihr auf dem Boden steht. Gefüllt mit zerbrochenem Geschirr und leeren Flaschen.
„Soll ich die wegwerfen“, frage ich, und „Altglas ist die letzte Tonne ganz vorne“, füge ich noch hinzu, in der Absicht, ihr und ihrer Tüte eine Bestimmung in diesem Durchgang zu geben.
„Das wäre nett“, antwortet sie leise, und: „Danke“. Mit dem Gesicht bleibt sie weiter zum Nachtschatten gedreht und mit dem Rücken im künstlichen Licht, das sich zwischenzeitlich wieder aus- und angeschaltet hat. Es scheppert furchtbar, als ich ihre Tüte versenke, dann wende ich mich ihr wieder zu und meine einen Seufzer zu hören.
„Ich weiß nicht, ob ich das selbst geschafft hätte, mit dem Geschirr. Es hängen zu viele Erinnerung daran“, sagt sie und dann fast kleinlaut: „Ich hatte schon überlegt es wieder zu kleben.“ Ich bin mir nicht sicher, was ich dazu sagen soll und stecke die Hände in die Hosentaschen, wodurch das Licht im Durchgang wieder angeht. Das Intervall ist zu kurz und die Empfindlichkeit zu hoch.
„Das wäre viel Arbeit“, sage ich, „jetzt erst recht“, und denke an das Geräusch des Aufpralls in der Mülltonne. Dann sehe ich meine Bastelschublade vor mir, den Kleber und lange Wintertage vor dem Kamin. Ihr abgewendeter Blick in den klaren Nachthimmel und das periodisch aufflackernde Licht, machen die Situation romantisch und alltäglich zugleich.
Ihr Haar ist dunkelbraun und fällt über einen gelben Jackenkragen. Das sie mich nicht ansieht, ist ein Hinweis, den ich nicht länger ignorieren darf.
„Drehst du dich mal um?“, höre ich sie plötzlich sagen. Wie selbstverständlich gehorche ich. Dann spüre ich einen Finger sachte aber bestimmt auf meinen Rücken kritzeln, einen Namen, eine Zahlenfolge, ich kann es nicht entziffern. Als sie fertig ist, drehe ich mich langsam um, aber sie ist schon auf dem Weg hinaus, an den Mülltonnen vorbei zum Eingangstor, das auf die Straße führt. Wie durch ein Wunder geht das Licht diesmal nicht an. Eine flüchtige und unvollständige Bekanntschaft. Eine nächtliche Entsorgung.